Stabsstelle: Zeitzeugengespräch mit Rudolf Kastelik
Zu Gast zum Zeitzeugengespräch in der Stabsstelle war Rudolf Kastelik. Er ist Betroffener aus dem Kontext Heimkinder und gab berührende wie wertvolle Einblicke in sein Leben. Die Veranstaltung trägt so zum Aufbau von Kompetenz im Umgang mit Betroffenen bei.
Intensiver und lehrreicher Austausch mit Rudolf Kastelik
Am 14.03.2024 lud die Stabsstelle Prävention ein zum Gespräch mit Rudolf Kastelik, Betroffener von sexualisierter Gewalt im Kontext Heimkinder in den 50er und 60er Jahren.
Herr Kastelik wurde am 29. März 1948 in Lübeck geboren und macht sich seit Anfang der 2010er Jahre für die Rechte Betroffener stark. Er verschafft sich und anderen betroffenen Personen mit großem Engagement Gehör. Seit 2010 hat Herr Kastelik beeindruckend viele leitende Geistliche beider christlicher Konfessionen sowie Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft getroffen. Er macht Forderungen nach mehr Aufmerksamkeit und gerechterem Umgang mit Betroffenen wirksam öffentlich. Er ist und war im Kontakt mit der Stabsstelle und mit Bischöfin Kirsten Fehrs.
Im moderierten Gespräch in der Stabsstelle Prävention vor Fachkräften und weiteren Interessierten stand er als Person mit seinem Erfahrungswissen im Vordergrund. Das Zuhören, das Erfahren seines Erlebens macht alle Menschen im Publikum zu Zeugen seiner Geschichte. Sie profitieren aus Einsichten aus erster Hand dazu, wie Vertreter*innen der für persönliches Leid verantwortlichen Institution Kontakt und Begleitung Betroffener aus deren Sicht gestalten müssen.
Rudolf Kastelik beeindruckte im fast zweistündigen Gespräch. Im Zentrum standen die Schilderungen zu seinem schweren Weg in der Kindheit einerseits und andererseits die vielen negativen, nur teils positiven Erfahrungen im Umgang der Institutionen mit ihm als Betroffenen. Er benannte was er, seine auf Heime verstreuten Geschwister und viele Leidensgenoss*innen nicht hatten: keine liebevolle Aufmerksamkeit, Kleidung, Spielzeug, Essen, und kaum jemals respektvollen Umgang. Dann benannte er, was es im Überfluss gab: Abwertung, Ausgeliefertsein, psychische, sexualisierte und körperliche Gewalt und Grenzüberschreitungen.
In Folge teilte er seine Erfahrung, auch nach dem Öffentlichmachen der an ihm begangenen Taten nach 2010, nicht angemessen gehört und begleitet zu werden. Immer wieder wurde klar: nicht gehaltene Versprechungen, wohlklingende Phrasen, fehlende Kontinuität im Kontakt mit betroffenen Personen, Weiterleiten von Zuständigkeit zu Zuständigkeit, die Erfahrung des Abgewiesenwerdens mit rechtlicher Argumentation trotz moralischer Verfehlung reißen immer neue Wunden bei Betroffenen und verdoppeln das Trauma.
Außerdem wird klar: auch die Tatsache, einer Vielzahl an Institutionen als Nachfolgeorganisationen seiner Stationen – er durchlief 16 unterschiedlichen Heime und wenige Pflegefamilien – alleine gegenüberzustehen bedeutet eine enorme Belastung. Immer wieder wechseln Ansprechstellen, Ansprechpartner und der institutionelle Umgang.
Besonders beeindruckt Herr Kastelik mit der ihm eigenen Beharrlichkeit, für Betroffenenrechte und Aufmerksamkeit zu kämpfen. So macht er sich persönlich und mit seiner Geschichte für bessere Prävention stark. Zugleich berichtet er, dass die Erinnerungen – die durch die "Aufarbeitungsreisen", wie er sie nennt, und Erinnerungsveranstaltungen in ihm aufsteigen – auch ihn wieder belasten.
Trotz der Dunkelheit der Schilderungen und deutlicher Anklage und Kritik gab es auch helle Momente im Gespräch: Rudolf Kastelik nimmt mit einem verschmitzten und hintersinnigen Humor für sich ein.
Die Veranstaltung wurde aufgenommen und kann auf Nachfrage in Gänze betrachtet werden. Besonders sprechende Momente und Aussagen finden mit Herrn Kasteliks Zustimmung Eingang als Material für Fortbildungen für Prävention und Aufarbeitung in der Nordkirche.
Die Stabsstelle dankt Herrn Kastelik für seine Offenheit, seinen Mut und Engagement, seine Erfahrungen zu teilen.