10.06.2023

Kirchentag: Thema Aufarbeitung auf dem Kirchentag 2023

Auf dem Kirchentag in Nürnberg war das Team der Stabsstelle Prävention aktiv. Gemeinsam mit betroffenen Menschen, Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Kirche gestaltete die Stabsstelle ein Podium mit dem Titel „Missbrauch beim Namen nennen. Woher kommt der Mut zum Wandel?“

„Jetzt ist die Zeit“, so lautete das Motto des diesjährigen Kirchentags vom 07. bis 11. Juni 2023 in Nürnberg. Und es war hohe Zeit. Die Stabsstelle Prävention machte sich auf, um gemeinsam mit Mitgestaltenden von Betroffenenseite und Kirchentag eines der größten Messe-Podien zum wichtigen Thema der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt einzunehmen. Das Ziel war aufmerksam zu machen auf die Initiativen von und mit Beteiligung von Menschen, die von sexualisierter Gewalt in Kirche betroffen waren.

Das Podium war eine von sechs Veranstaltungen während des Kirchentags zum Thema sexualisierter Gewalt und fand statt am Thementag „Macht – Missbrauch – Verantwortung“. Zum Thema gab es Angebote von Gruppengesprächen im Beratungsbereich in Halle 5 im Messezentrum (und dort generell seelsorgerliche Gesprächsangebote). Am Morgen wurde außerdem in der Nürnberger St.-Martha-Kirche in der Innenstadt ein „trotz allem“-Gottesdienst abgehalten, ein Format speziell für von Gewalt in und außerhalb von Kirche betroffenen Frauen. Darüber hinaus zog ein Stand der bayerischen Kolleg*innen der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern auf dem sogenannten „Markt der Möglichkeiten“ in den Messehallen viele Menschen an.

Am Samstagnachmittag also nahm das Podium von 15 bis 17 Uhr seinen Raum ein auf der Bühne der Messehalle 4a des Messezentrums Nürnberg, einer der größten Veranstaltungshallen des Kirchentags. Zur Diskussion und Beiträgen geladen waren hochrangige Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Betroffenenvertretung und der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und den Landeskirchen.

Nach einer Einführung von Rainer Kluck, dem Leiter der Stabsstelle Prävention – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Nordkirche, entfaltete sich eine perspektivenreiche Auseinandersetzung zum Thema der Verantwortung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche.  

Den Startpunkt bildete eine gut viertelstündige Lesung von Texten von betroffenen Menschen zu ihrem Missbrauchserleben, vorgetragen von dem Schauspieler Kai Christian Moritz und der Schauspielerin Christina von Golitschek, Würzburg. Im Anschluss folgten Impulse aus Politik und Wissenschaft, einerseits von Lars Castellucci, Mitglied des Bundestages (SPD), 2023 Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat, und von Martin Wazlawik, Professor für Soziale Arbeit und wissenschaftlicher Experte für das Thema Aufarbeitung sexualisierter Gewalt von der Hochschule Hannover. Er ist zugleich federführender Forscher der ForuM-Studie, dem Forschungsverbund zur „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“.

Das Fazit: Kritik wurde wiederholt zur zunächst zögerlichen Reaktion der Kirche auf Missbrauchsfälle. Es gab den Appell zu verstärktem, grundlegendem Engagement und andererseits auch eine Würdigung der Rolle von Kirche in der Gesellschaft. Verbunden damit war die Forderung zur Intensivierung der Arbeit gegen Missbrauch, aber auch der Ruf nach einer stärkeren Rolle des Staates etwa mit verbindlichen staatlichen Standards für Aufarbeitung und Verstetigung der Finanzierung der staatlichen Stellen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Auch die Forderung einer als von allen Seiten als erforderlich erachteten Dunkelfeldstudie, die die tatsächliche Inzidenz sexualisierter Gewalt ans Licht bringen könnte, wurde ausgesprochen. Die EKD hat bereits an anderer Stelle bekräftigt, ihren Anteil an der Finanzierung einer Dunkelfeldstudie beizutragen.

Im Anschluss wendete Rainer Kluck den Blick auf kirchliche Arbeit und führte Gespräche zum titelgebenden Wandel in Form von Initativen und Anstrengungen der evangelischen Kirche in der Arbeit mit Betroffenen. Mit Barbara Pühl, der ehemaligen Leiterin der Bayerischen Fachstelle und seit 2022 Leiterin der Evangelischen Dienste im Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk München, gab es einen Austausch zum Format des „trotz allem“-Gottsdienstes für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen und Unterstützerinnen. Er besteht seit 2002. Das Format wurde auf einer anderen Veranstaltung auf dem Kirchentag erläutert und weitergegeben.

Mit Nancy Jahnz, Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland, sprach er über die Erfahrungen zur Beteiligung Betroffener in der Kirche, mit Rückschlägen und Fortschritten bis hin zum im Juli 2022 neu und paritätisch besetzten Beteiligungsforum der EKD, das inzwischen erfolgreich arbeitet.

In der abschließenden Podiumsdiskussion unter den Beteiligten unter der Leitung von Moderatorin Christiane Kolb, Journalistin und Referentin für Kommunikation der Stabsstelle Prävention der Nordkirche, startete das Gespräch mit der Vorstellung von Dorothee Wüst, Kirchenpräsidentin der evangelischen Kirche der Pfalz und zugleich Sprecherin der Beauftragten im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt auf EKD-Ebene. Im lebendigen Austausch wurden Standpunkte abgeglichen und Anforderungen an gelingende Aufarbeitung präzisiert.

 

Weiterführende Websites

Zum "trotz allem"-Gottesdienst Hamburg: trotz allem. Hoffnungs- und Stärkungsgottesdienst zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.

Website Kirchentag 2023 in Nürnberg